Nichts gelernt

Leider, leider bewahrheitet sich mal wieder, was wir schon lange wissen: Der Mensch lernt nichts aus der Geschichte. Es ist die Geschichte, die vom Menschen lernt, um alles noch schlimmer zu machen. (Elmar Schenkel)

Der Antisemitismus blüht seit dem 7. Oktober flächendeckend auf. Auf den Strassen, auf Plätzen, an Hauswänden und in Universitäten hört und sieht man antisemitische Parolen und Schmierereien, Poster der gekidnappten israelischen Geiseln werden abgerissen. Dies nicht nur in den USA, wo die Universitäten inzwischen für jüdische Student*innen und Professor*innen nicht mehr sicher sind, sondern auch in London, Berlin und anderen europäischen Städten.

Das macht Angst. Und: Es erinnert an eine Zeit, die man überwunden glaubte. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer (102) sagt, so habe es damals auch angefangen. Deutlich sieht man die Parallelen zu den Anfängen der Nazizeit, denn auch damals begann es mit der schrittweisen Ausgrenzung jüdischer Menschen aus dem Alltagsleben.

Wehret den Anfängen, heisst es. Allerdings glaube ich manchmal, es sei dafür schon zu spät.

Die Front im Norden

Die ganze Welt ist so mit dem Gazastreifen beschäftigt (das englische Wort wäre obsessed, besessen, was es wesentlich besser trifft), dass der Krieg im Norden praktisch unbemerkt verläuft.

Unsere Nordgrenze ist Kampfgebiet. Bereits am 16 Oktober wurden folgende Ortschaften evakuiert: Ghajar, Dishon, Kfar Yuval, Margaliot, Metula, Avivim, Dovev, Ma’ayan Baruch, Bara’m, Manara, Yiftach, Malkia, Misgav Am, Yir’on, Dafna, Arab al-Aramshe, Shlomi, Netu’a, Ya’ara, Shtula, Matat, Zari’t, Shomera, Betzet, Adamit, Rosh HaNikra, Hanita und Kfar Giladi. (AUfmerksame Leser*innen merken, dass da auch arabische Namen dabei sind, also drusische oder beduinische Dörfer). Am 22. Oktober wurden weitere 14 Ortschaften evakuiert: Snir, Dan, Beit Hillel, She’ar Yashuv, Hagoshrim, Liman, Matzuva, Eylon, Goren, Gornot HaGalil, Even Menachem, Sasa, Tziv’on und Ramot Naftali. Auch die Stadt Kiryat Shmona mit ihren 23 000 Einwohnern wurde evakuiert.

Die Einwohner all dieser Ortschaften sind Flüchtlinge im eigenen Land. Sie leben in einem Provisorium und wissen weder, wann sie in ihre Häuser zurückkehren können, noch, ob diese Häuser bis dahin überhaupt noch stehen oder in welchem Zustand sie sind.

Täglich heulen im Norden mehrmals die Sirenen. Entweder sind Raketen der Grund, oder aber Drohnen, die in den israelischen Luftraum eindringen – beides abgefeuert von der Hizbollah, die entgegen aller Abkommen direkt an der Grenze im Libanon sitzt. Das ist gefährlich und stressig, und zusätzlich gibt es manchmal noch Fehlalarme…

Insgesamt wurden in diesem Krieg über 200 000 Menschen aus ihren Wohnungen und Häusern evakuiert, etwa die Hälfte davon aus den Gemeinden rund um den Gazastreifen. Weitere 120 000 wurden von der Nordgrenze aus Sicherheitsgründen temporär umgesiedelt. Sie wohnen in Hotels oder bei Familien, eine Situation, die nicht auf Dauer so bleiben kann.

Seltsamerweise spricht davon im Ausland niemand in den Medien, oder dann nur so, dass man es von hier aus nicht mitbekommt…

200 Tage

200 Tage, an denen ein Stuhl leer bleibt.

200 Tage, an denen ein geliebter Mensch fehlt.

200 Tage, an denen im Herzen ein Loch klafft.

Auch an unserem Tisch blieb am gestrigen Sederabend ein Platz unbesetzt – symbolisch, zur Erinnerung an die über 100 Geiseln, die immer noch in Gaza festgehalten werden, ohne jeglichen Kontakt zur Aussenwelt oder gar zu humanitären Organisationen.

Es ist eine Schande!

Still und leise

Still und leise steht nun Pessach vor der Tür. Eigentlich ist dieser Feiertag ein Fest der Freiheit: Wir erinnern uns an den Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus der Sklaverei in die Unabhängigkeit.

Doch – wie können wir dieses Jahr feiern? Wie können wir feiern, wenn 133 Männer, Frauen und Kinder immer noch in Gaza festgehalten werden, unter unmenschlichen Bedingungen? Wie können wir feiern, wenn wir nicht wissen, ob sie noch leben (lies: wie viele von ihnen noch leben)? Wie können wir überhaupt Pessach feiern?

In vielen Familien wird dieses Jahr am Sedertisch ein Gedeck und ein Stuhl leer bleiben. Ein leerer Stuhl, Sybol für die Entführten, die so sehnlichst vermisst werden, deren Fehlen jeden Tag zu einem Albtraum macht. In einigen dieser Familien ist der Stuhl ganz konkret, weil ein Familienmitglied, ein Verwandter, ein Freund fehlt. Doch auch in anderen, nicht direkt betroffenen Familien wird ein Stuhl leer bleiben, um die Solidarität zu zeigen. Um an die Entführten zu denken. Um sie nicht zu vergessen.

Auch bei uns wird ein leerer Platz an die Geiseln erinnern

Mögen sie bald befreit werden. Möge Pessach, das Fest der Freiheit, ihnen auch Freiheit bringen!

David und Saul, aktuell

Vielleich kennst du David und Saul aus der Schule, aus dem Fach biblische Geschichte oder Religion, das damals noch unterrichtet wurde, als ich Kind war. Saul, oder Sha’ul, wie er auf Hebräisch heisst, war der erste König der Israeliten, der über alle Stämme regierte, David sein Nachfolger.

Saul war kein wirklich guter König, weshalb schon zu seinen Lebzeiten der Hirtenjunge David, vom Propheten Samuel heimlich zum nächsten König gesalbt wurde. David besiegte den Riesen Goliath mit seiner Steinschleuder und heiratete später Sauls Tochter Michal. David spielte auch Harfe im Palast, um den geistig immer mehr umnachteten Saul zu beruhigen. Allerdings wurde Saul immer wütender auf David, und er verstiess ihn. Nicht nur das – er verfolgte ihn zusammen mit 3000 ausgewählten Soldaten.

In dieser Zeit geschah es, dass Saul sein Geschäft verrichten musste. Zu diesem Zweck zog er sich bei Ein Gedi in eine Höhle zurück – ausgerechnet in diejenige, in der David Schutz und Zuflucht vor seinen Verfolgern gesucht hatte. Anstatt Saul zu ermorden, schnitt ihm David nur einen Zipfel seines Mantels ab. Diesen präsentierte er ihm kurze Zeit später zum Zeichen, dass er ihn verschont hatte. Nachzulesen ist die Geschichte im 1. Samuel 24: 1-23.

Was hat das nun mit der Aktualität zu tun?

Israel wurde vom Iran mit hunderten von Drohnen und Raketen angegriffen. Obwohl 99% davon abgefangen werden konnten und die wenigen, die tatsächlich einschlugen, keinen nennenswerten Schaden anrichteten, drohte Israel mit einem Gegenschlag.

Dieser ist nun erfolgt, und er ist ein deutlicher Warnschuss vor den Bug. Es wurde eine Militärbasis in der Nähe der Stadt Isfahan angegriffen – sehr nahe bei den iranischen Atomanlagen. Es seien sowohl Drohnen (die wohl von innerhalb Irans abgefeuert wurden) als auch von Flugzeugen aus geschickte Raketen im Spiel gewesen.

Israel hat dem Iran quasi ein Stück des Mantels abgeschnitten, zum Zeichen, dass es auch wesentlich sensiblere Ziele hätte treffen können, wenn es denn gewollt hätte – ohne dass der Iran irgend etwas dagegen hätte tun können.

David und Saul, ganz aktuell also.

Flüchtlinge im eigenen Land

In Israel gibt es Flüchtlinge.

Ja, Flüchtlinge. Flüchtlinge im eigenen Land. Menschen, die nach dem 7. Oktober nicht mehr in ihren Häusern wohnen können oder dürfen – weil ihre Häuser von den Terroristen der Hamas zerstört worden und dadurch nicht bewohnbar sind (im Süden), oder weil die Bedrohung durch die ständigen Raketen der Hizbollah zu gross ist (im Norden).

Momentan sind es noch rund 100 000; früher in diesem Krieg waren es sogar etwa doppelt so viele.

Meine Tochter hat in ihrer Mechina mehrere Evakuierte, aus dem Süden und dem Norden. Sie hat ihnen meine Fragen gestellt. Hier der erste Bericht:

Maayan (Name geändert) wurde am 7. Oktober mit ihren Eltern und zwei Schwestern aus Or Haner evakuiert. Die ersten drei Tage lebten sie bei einer Familie, danach eine Woche bei einer anderen Familie. Einen weiteren Monat verbrachten sie im Haus von Freunden, dann kamen sie in ein Hotel. Seit ungefähr zwei Monaten leben sie in einer Wohnung in Tel Aviv.

Ihre kleine Schwester (10) musste dadurch mehrmals die Schule wechseln: Zuerst ging sie in Shoham zur Schule, weil sie da wohnten, danach in Tel Aviv – jetzt durfte sie in ihre ursprüngliche Schule zurückkehren.

Maayan sagt, dass die Familie teils in gemeinsamen Zimmern, teils einzeln untergebracht war. Einmal lebten sie sogar in zwei verschiedenen Hotels. Für Essen war durch den Speisesaal gesorgt, kochen konnten sie im Hotel nicht. Maayan hatte Mühe damit, nicht unabhängig zu sein, nicht nach Belieben z. B. Kaffee trinken zu können…

Inzwischen ist Maayans Familie nach Or Haner zurükgekehrt. Sie haben gemischte Gefühle: Einerseits sind sie froh, wieder in ihren eigenen vier Wänden zu sein, andrerseits wird es wohl noch lange dauern, bis sie sich dort wieder sicher fühlen können.

Wenn es die falschen trifft

Heute Morgen feuerte die Hizbollah wieder mal (wie jeden Tag) Raketen und Drohnen auf Nordisrael ab. Bloss gab es diesmal Treffer. Das eigentliche Ziel sollen militärische Einrichtungen in der Gegend gewesen sein.

Im beduinischen Dorf Arab al-Aramshe in Nordgaliläa wurde stattdessen jedoch ein Gemeindezentrum getroffen. 18 (anderen Quellen zufolge 19) Personen wurden verletzt, einige davon schwer, einer sogar sehr schwer. Ein Detail: Beduinen sind mehrheitlich Muslime.

Die Hizbollah will Israelis töten und alle Juden aus Israel vertreiben (klingt vertraut, nicht? Ja, es gibt da verschiedene Gruppen mit dem gleichen Ziel, leider). Wenn es dann halt Muslime trifft, haben die wohl Pech gehabt. Was müssen sie auch im Feindesland wohnen?

Wo bleibt der Aufschrei der Welt?

Entschuldige bitte

Liebe Leserin, lieber Leser, herzlichen Dank für deine Treue und Unterstützung. Entschuldige bitte, wenn ich im Moment nicht ganz so häufig schreibe.

Nächsten Montagabend beginnt nämlich Pessach, das Fest der ungesäuerten Brote, das uns an den Auszug aus Ägypten erinnert. Dafür muss das ganze Haus von Gesäuertem (Chametz) gründlichst gereinigt werden – jedes Krümelchen muss raus, und sei es auch noch so klein. Das ist aufwendig und braucht Zeit und Kraft. Und daneben läuft der ganz normale Haushalt mit all seinen Aufgaben ja weiter.

Bei uns sind grad alle zu Hause, weil meine Tochter ja im Vorfeld des iranischen Angriffs heimgeschickt wurde. Da bleibt sie jetzt bis nach Pessach. Ich bin froh, die ganze Familie hier zu haben – jetzt kann passieren, was will.

Nach wie vor redet Israel über einen Einmarsch in Rafiah. Und über eine eventuelle Vergeltung gegen den iranischen Angriff. (Hier sei übrigens mal angemerkt, dass die hohen iranischen Funktionäre in Damaskus in einem Haus neben der iranischen Botschaft getötet wurden, nicht in der Botschaft selbst. Israel hat zu dem Angriff keine Stellung genommen). Die Lage ist nach wie vor angespannt, nichts Neues in der Hinsicht.

Falls es Neuigkeiten gibt, melde ich mich auf jeden Fall. Mach dir also bitte keine Sorgen, wenn es hier momentan etwas stiller werden sollte.

Ist es vorbei?

Bei uns war die Nacht ruhig, ich konnte sogar einige Stunden schlafen (ja, erst sehr spät, das Adrenalin und so). Beruhigt hat mich vor allem die Tatsache, dass wir alle vier daheim sind.

Heute Morgen sah ich dann in der App des Home Front Command, dass es 733 Alarme gab, die meisten davon zwischen 01:40 und 01:50. Es gab wohl Sachschaden, und ein Kind wurde von Splittern so schwer verletzt, dass es jetzt auf der Intensivstation liegt.

Das iranische Regime – nicht der Iran; das Volk ist da offensichtlich nicht ganz damit einverstanden – hat wohl rund 110 ballistische Raketen, mehr als 30 Boden-Boden-Raketen und fast 200 Drohnen abgefeuert. Viele davon wurden bereits ausserhalb Israels aufgehalten, der Rest hier abgeschossen. Die Ziele lagen alle im Süden – ich nehme jedenfalls an, dass die vereinzelten Alarme im Norden eher der Hizbollah zuzuschreiben sind.

Iranische Quellen behaupten, die Reaktion sei jetzt abgeschlossen, und dabei werde es bleiben, wenn Israel nicht reagiert.

Wir hoffen dann mal.

Nebenbemerkung: Die Hamas hat den letzten Geiseldeal auch abgelehnt. Welch eine Überraschung… nicht. Sie wollen als Bedingung für die Freilassung, dass Israel alle Truppen aus Gaza abzieht, alle Bewohner in ihre Häuser zurückkehren können, die humanitäre Hilfe verstärkt und eine Riesenanzahl palästinensischer Gefangener freigelassen wird. Da kann wiederum Israel keinesfalls zustimmen… Sackgasse also. Mal abgesehen davon, dass keiner weiss, wie viele der Geiseln überhaupt noch leben.

Alarmstufe dunkelrot

Heute Abend gab die Armee bekannt, dass ab morgen alle Aktivitäten des Erziehungsministeriums abgesagt seien. Das betrifft sämtliche Ferienprogramme für Kinder, alle Jugendorganisationen etc.

Der beste Ehemann von allen und ich waren an einer Veranstaltung (wir haben da ein Abo) – das Programm wurde gekürzt, damit es um 22:45 Uhr endet und alle nach Hause fahren können. Meine Tochter ist daheim und alle anderen der Mechina werden auch nach Hause geschickt.

Es herrscht höchste Alarmstufe. Laut den Nachrichten sind erste Drohnen und Raketen aus dem Iran unterwegs; die Drohnen brauchen ca. 8 Stunden, bis sie hier sind, die Raketen nur 2 … mir ist schlecht.